Warum wird Jungen mehr Ritalin verabreicht als Mädchen? Warum wird ein
Herzinfarkt bei Frauen als Magenverstimmung oder als psychosomatische Störung
diagnostiziert und damit lebensgefährlich bagatellisiert? Warum können
Herzmedikamente oder Antidepressiva - in Studien als (nahezu) unbedenklich
erwiesen - im weiblichen Organismus katastrophale Wirkung entfalten?
Frauen und Männer sind verschieden! So banal wie kompliziert. So
banal, weil äußerlich zwar sichtbar und dank bestimmter Vorlieben und
Verhaltensunterschiede erlebbar. So kompliziert, weil sich ein männlicher und
weiblicher Körper bis in die Zellstruktur unterscheiden. Eine weibliche
Leberzelle verfügt z.B. über andere Enzyme als eine männliche. Die männliche
Leber ist deutlich im Vorteil, wenn es um die Verarbeitung des ein oder anderen
Weinchens, Bierchens oder Schnäpschens geht, dafür können Frauen auf ein
robusteres Immunsystem zurückgreifen, da ihr Körper u.a. mehr Eiweiße produziert.
Auch die Wahrnehmung und Einstufung der aufgenommenen Information kann
im Gehirn des jeweiligen Geschlechts zu ganz unterschiedlichen
Ergebnissen führen. Unter dem Einfluss von Testosteron verengt sich der
Blickwinkel und manche Risiken - zuweilen tödliche - werden nicht gesehen oder
deutlich unterschätzt. Übrigens auch von Frauen, die in einem Versuch
künstlich mit dem männerformenden Hormon ausgestattet wurden.
Männer reden gar nicht oder ganz anders über (gesundheitliche) Probleme als
Frauen, manche seelische Erkrankung bei Männern wird so gar nicht erst erkannt. Depressionen äußern sich geschlechtsspezifisch mal als Aggression, mal
als totaler Rückzug. In jedem Fall aber liegt die Selbstmordrate bei Männern
höher als bei Frauen. Eine Kommunikation, die sich weniger auf die
vermeintliche "Schwäche" fokussiert, sondern auf die Lösung könnte
hier zielführender sein, während Frauen aufmerksames Zuhören schätzen.
Trotz großer Errungenschaften greift die mechanistische Auffassung vom
Körper als mehr oder minder gut funktionierendem Apparat, wobei das Herz als
Motor gilt, zu kurz. Eine erweiterte Sicht auf die Belange eines
weiblichen Organismus dürfte sich in der Folge nicht mehr nur auf das
anerkannte Fachgebiet der Gynäkologie beschränken, sondern auf alle Gebiete der
inneren Medizin. Nähme man es wirklich ernst, müssten bereits erforschte
Medikamente erneut Studien unterworfen werden, dieses Mal mit Probandinnen, um
Wirkung, Nebenwirkung und richtige Dosierung festzustellen. Das wiederum
wäre eine Herausforderung an das Studiendesign, denn die Fähigkeit des
weiblichen Körpers, neue menschliche Organismen, sprich: Kinder hervorzubringen
macht die Sache eben nicht leichter.
Neue, passende Wirkstoffe könnten entwickelt werden. Eine interessante
Herausforderung für die forschende Pharmaunternehmen, die nach Auslaufen der
Patentrechte schwierigen Zeiten entgegensehen. Ein diffiziles Unterfangen für
die Gesundheitspolitik, die dafür sorgen muss, dass sich die millionenschwere
Investition qua Erstattung auch rentiert.
Im Bereich der Bildung eröffnen sich gleichfalls Möglichkeiten.
Jungen, die sich im herkömmlichen Schulunterricht in ihrem Bewegungsdrang
nur schwer zügeln lassen müssten nicht notwendig als pathologisch gelten und
mit dem ohnehin umstritten Ritalin "versorgt" werden. Mädchen,
die sich erst mit der Geschlechtsreife vom Neutrum "Es" ins
definierte "Sie" verwandeln, müssen sich gegenwärtig noch rasch
daran gewöhnen, dass fast alles, was mit ihrem Frausein zu tun hat, der
ärztlichen Beobachtung bedarf und damit wie selbstverständlich einen pathogenen
Anstrich hat.
Manche Befunde werden bei Frauen (immer noch) nicht für möglich gehalten, wie der schon genannte Herzinfarkt. Depressionen oder gar Brustkrebs bei Männern festzustellen und zu kommunizieren - auch öffentlich - erfordert gleichfalls den Blick über den Tellerrand.
Das klingt alles nach viel Arbeit, nach viel Umstand, vielleicht auch Geld,
dass es zu investieren gilt. Aber deswegen darauf verzichten? Auch hier
gehörten bei einer ernsthaften Diskussion alle Zahlen auf den Tisch. Die
Forschung z.B. in der Raumfahrt ist auch nicht umsonst zu haben. Und wer kommt
eigentlich für die Beseitigung der Berge an Elektromüll auf, wenn statt einer
weißen nun eine rote Waschmaschine in ist oder der noch funktionstüchtige Toaster
dem neuesten mit Swarovskisteinen besetzten Modell weichen muss? Und wer zahlt die Folgekosten falscher Behandlung und Medikamentierung?
Usw. usw......
Links:
Focus Nr. 20/21 14. Mai 2012 S. 88
Neuigkeiten zum Workshop Sie tickt anders. Er auch. Geschlechterspezifik in Medizin, Pflege... unter
Zum Thema Gesundheit von Männern:
http://www.gesundheit-nds.de/CMS/index.php
Arbeitsgruppe Cognition & Gender:
Arbeitsgruppe Cognition & Gender:
http://campus.uni-muenster.de/agcoggen.html
Hier wird Orthopädie mal weiblich buchstabiert
http://www.orthopaedinnen.org
Weitere Links zur Woche finden Sie unter :
http://female-resources.blogspot.de/2012/05/links-fur-die-18-bis-20-kw.html
Weitere Links zur Woche finden Sie unter :
http://female-resources.blogspot.de/2012/05/links-fur-die-18-bis-20-kw.html
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